Zur allgemeinen Verwirrung…

Ist es partizipativ, wenn Kinder und Jugendliche aus mehreren Menüvorschlägen ihr Mittagsessen aussuchen dürfen? Oder was ist mit der Telefonabstimmung bei „Deutschland sucht den Superstar“, um die Lieblingssänger*innen in die nächste Runde zu katapultieren? Oder eine Jugendeinrichtung, deren Leitung eine Wahl abhält, um einen Kinderrat aufzustellen?

Ist Partizipation eine inzwischen inflationär gebrauchte Floskel oder das Fundament einer basisdemokratischen Utopie? Ich würde zu beiden Auslegungen antworten: jein! Es kommt auf das Verständnis, die Motive, die Haltung, die Intentionen und die Ausgangsbedingungen aller Beteiligten an. Klar ist, dass das Wort Partizipation mit steigender Bekanntheit immer öfter als Allgemeinplatz, Konzeptaufpepper, Lückenfüller und Gewissensberuhiger eingesetzt wird. Aber das soll uns nicht daran hindern, ihre Vorteile, aber auch ihre Stolpersteine, genauer unter die Lupe zu nehmen.

„Phänomenologisch lässt sich Partizipation nicht fassen. Man kann sie nicht sehen, nicht hören, nicht spüren, ja nicht einmal genau beschreiben.“

Remi Stork, Experte für Kinder- und Jugendhilfe

Das Wort Partizipation entstammt dem Lateinischen particeps (pars = „Anteil“ und carpere = „ergreifen“). Es wird gewöhnlich mit Begriffen wie ‚Beteiligung‘, ‚Teilhabe‘, ‚Teilnahme‘, ‚Mitsprache‘, ‚Mitwirkung‘, ‚Mitbestimmung‘, ‚Mitgestaltung‘, ‚Einbeziehung‘ oder zuweilen auch ‚Selbstbestimmung‘ übersetzt, die alle ihre eigenen Nuancen besitzen. Gelegentlich wird beispielsweise zwischen politischer Partizipation und alltäglicher Beteiligung unterschieden. In der Debatte um Inklusion wird Partizipation hingegen vom Teilhabe-Begriff abgegrenzt, der erst einmal auf Teilnahmemöglichkeiten am gesellschaftlichen Status Quo verweist (etwa durch barrierefreie Zugänge). Partizipation geht darüber hinaus und verweist auf verschiedenen Ebenen auf aktive Handlungen der sich beteiligenden Menschen.

Im täglichen Zusammenleben stellt sich immer wieder die Frage, wie Entscheidungen zustande kommen und der Alltag zwischen Menschen verschiedenen Alters und verschidender Generationen gestaltet werden soll. Daher ist die Frage nach Partizipation wesentlich. Hinter Partizipation steckt im Idealfall die Idee, dass Menschen Entscheidungsprozesse, die sie betreffen, beeinflussen, sie also Kompetenzen, Raum und Ressourcen haben, um ihr Leben zu gestalten. Bezogen auf das Individuum innerhalb der Gruppe geht es auch um die Macht und die Möglichkeit, dass Interessen Anerkennung finden und Selbstwirksamkeit erfahren wird. Partizipation geht dann in Empowerment ([Selbst]Ermächtigung) über, bei der die Fähigkeit zu selbständigem und selbstbestimmtem Handeln gestärkt wird. Für junge Menschen kann eine gelungene Partizipation gegen Adultismus wirken und das Machtungleichgewicht in der Erwachsenen-Kind-Beziehung ebnen helfen. Jedoch nur wenn sie nicht instrumentell eingesetzt wird (um junge Menschen zu vorbestimmten Zielen zu bewegen) oder gar dekorativ, manipulativ oder als Alibi missbraucht wird.

Wer, wie, wann, wo, warum und mit welchen Konsequenzen sich Menschen beteiligen, ist allein aus dem Partizipationsbegriff nicht abzuleiten. Denn Partizipation dient als Sammelbecken für mannigfaltige Interpretationen. Die Partizipationsforschung differenziert zwischen zahlreichen Partizipationsstufen, -sphären, -feldern und -formen. Schauen wir also die unterschiedlichen Facetten von Partizipation näher an.

Welche Wurzeln hat Partizipation, wo stehen wir heute?

Die europäische Erzählweise führt die historischen Wurzeln der Beteiligung zurück zu den Anfängen der Demokratie. Gemeinsame Entscheidungsrunden in der Polis (dem antiken griechischen Stadtstaat) um 450 v. Chr. lösten die Göttinnen und Götter als bestimmende Instanz ab und bildete ein zentrales Element der Demokratie. Die Mitglieder der bürgerlichen Gemeinschaft nutzten ihre Fähigkeiten zu denken, zu diskutieren und anhand gemeinsamer Beratungen vernünftige Lösungen für ihre Probleme zu finden. Die Bürger (Politen) unterwarfen sich den Gesetzen, die sie gemeinsam geschaffen hatten und wurden vor diesen gleichgestellt. Frauen, Sklaven, Besitzlose und Kinder waren damals von den Entscheidungsprozessen aber ausgeschlossen, denn sie galten nicht als vollwertige Bürger*innen! Auch heute noch werden Kinder und Jugendliche von politischen Entscheidungsprozessen ausgeschlossen, daher fordern verschiedene Initiativen die Herabsetzung des Wahlalters ein. In der Schweiz dauerte es übrigens bis 1990, bis Frauen in allen Kantonen das Wahlrecht erlangten!

Diese eurozentristische Sicht stellt allerdings nur die halbe Wahrheit dar. Anthropologischen und dekolonialen Studien zufolge ist ein partizipativer und gleichwürdiger Umgang zwischen Menschen, auch zwischen Menschen verschiedenen Alters, in vielen nicht-kapitalistischen Gesellschaften, früher wie heute, zu finden. In Europa fällt hingegen der Umgang mit Kindern als wenig glanzvoll auf. Der Sozialwissenschaftler Lloyd deMause schrieb 1973:

„Die Geschichte der Kindheit ist ein Alptraum, aus dem wir gerade erst erwachen. Je weiter wir in der Geschichte zurückgehen, desto unzureichender wird die Pflege der Kinder, die Fürsorge für sie, und desto größer die Wahrscheinlichkeit, daß Kinder getötet, ausgesetzt, geschlagen, gequält und sexuell missbraucht wurden.“

Lloyd deMause

Der Theologieprofessor Martin Luther empfahl, neben den Apfel eine Rute zu legen, und seit 1896 herrschte in deutschen Haushalten das sogenannte „Züchtigungsrecht“ des männlichen Familienoberhauptes. (Dieser durfte im Übrigen neben „seinen“ Kindern bis 1968 auch „seine“ Ehefrau „züchtigen“.) Obwohl diese in der Umgangssprache bezeichnete „Prügelstrafe“ Mitte des 20. Jahrhunderts schrittweise abgeschafft wurde, dauerte es noch bis zum Jahr 2000 bis das Recht auf gewaltfreie Erziehung in Deutschland gesetzlich verankert wurde. Kinder waren bis vor wenigen Jahrzehnten kein anerkannter, gleichwürdiger Teil der Gesellschaft. Folglich blieb der Gedanke einer ebenbürtigen Beteiligung von Kindern und Jugendlichen in einem Großteil der Gesellschaft fernab jeglicher Realität.

Der partizipative Gedanke erhielt, von wenigen Ausnahmen abgesehen, erst mit den soziokulturellen Umbrüchen Ende der 1960er Jahre wieder Eingang in gesellschaftliche Debatten. Die Teilhabe marginalisierter Gruppen (wozu gelegentlich auch Kinder gehörten) erschien nun erstrebenswert. Arbeiter*innen, Student*innen und Schüler*innen gingen auf die Straße, um mehr Mitsprache einzufordern. Zeitgleich stellten junge Eltern ihre eigene, nach der faschistischen Ära autoritär geprägte, Erziehung in Frage und suchten Alternativen. Sie gründeten beispielsweise Kinderläden, freie Alternativschulen oder Weglaufhäuser für sogenannte „Heimkinder“. Schritt für Schritt sickerte Partizipation in die Mainstream-Erziehung ein. Sozialwissenschaftler*innen sprachen mit Blick auf die Familie von einem aufkommenden Verhandlungshaushalt.

Partizipation wurde in den folgenden Dekaden in der Kinder- und Jugendarbeit und in Erziehungstheorien wieder ‚Mode‘. Reformpädagogische Ansätze und demokratietheoretische Konzeptionen betrachten inzwischen Beteiligung als zentrales Element einer progressiven und kindzentrierten Pädagogik, die häufig auf demokratischen oder sozialistischen Gesellschaftsvisionen beruht. Das Kind wird darin als Subjekt mit eigenen Perspektiven, Meinungen, Wünschen und Bedürfnissen betrachtet, auf die Erwachsene eingehen sollten. Aushandlungsprozesse und Selbstbestimmungsmöglichkeiten für Kinder und Jugendliche sind demnach auf verschiedenen Ebenen einzurichten.

Dennoch hat sich an dem grundlegenden Machtungleichgewicht zwischen Kindern und Erwachsenen in Europa bisher wenig verändert. Auch wenn die autoritäre Pädagogik heute meistenorts verpönt ist, scheint eine Pädagogik der Dominanz noch immer weit verbreitet. Erziehungsratgeber, die helfen sollen, „kleine Tyrannen“ zu bändigen, landen zuweilen wieder auf Bestsellerlisten. Sowohl in der privaten Erziehung (Familie) als auch in der institutionellen Erziehung (Jugendhilfe, Schule) wird vielerorts Disziplin, Gehorsam und Unterordnung erwartet. Es gilt – auf einer viel subtilere Art und Weise als früher – Kinder zu funktionierenden Bürger*innen umzupolen.

Gibt es rechtliche Grundlagen für Beteiligung?

Die Praxis zeigt: Früher wie auch heute bestimmen Erwachsene vielfach alleine oder für Kinder über Dinge, die direkt oder indirekt die Lebenswelten junger Menschen betreffen. Kinder werden entweder nicht gefragt, nicht gehört oder nicht ernst genommen. Dies verstößt gegen ein Kinderrecht der Vereinten Nationen (UN), welches alle Kinder (laut UN alle Menschen vor ihrem 18. Geburtstag) weltweit gleichermaßen haben sollten: Das Recht auf Beteiligung. Viele Kinder, aber auch viele Erwachsene, wissen gar nicht, dass Kinder dieses Recht haben, denn Kinderrechte werden meist nur auf Schutz und Versorgung bezogen. Das ist zwar verständlich, wenn man die Geschichte der Kinderrechte anschaut, in der es häufig um das bloße Überleben ging. Spätestens seit der UN-Kinderrechtskonvention von 1989 (von Deutschland 1992 ratifiziert) haben sich aber Beteiligungsrechte weltweit rechtlich etabliert. Der entsprechende Artikel 12 der UN-Kinderrechtskonvention lautet folgendermaßen:

„(1) Die Vertragsstaaten sichern dem Kind, das fähig ist, sich eine eigene Meinung zu bilden, das Recht zu, diese Meinung in allen das Kind berührenden Angelegenheiten frei zu äußern, und berücksichtigen die Meinung des Kindes angemessen und entsprechend seinem Alter und seiner Reife. […]“

Artikel 12 (1) UN-KRK

Weitere Artikel der UN-Kinderrechtskonvention, die den Beteiligungsrechten zugeordnet werden, betreffen

  • die Meinungs- und Informationsfreiheit (Artikel 13),
  • die Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit (Artikel 14),
  • die Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit (Artikel 15) sowie
  • den Zugang zu den Medien (Artikel 17).

Auch in vielen Verträgen, Gesetzen und Leitlinien auf UN-, EU-, deutscher Bundes- und Landesebene steht einiges zur Beteiligung von Kindern und Jugendlichen:

  • UN-Ebene:
    • Agenda 21 Leitlinien
  • EU-Ebene:
    • Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC)
    • Leitlinien der EU für die Förderung und den Schutz der Rechte des Kindes
    • Europäisches Übereinkommen über die Ausübung von Kinderrechten
    • Charta der Beteiligung der Jugend am Leben der Gemeinde und der Region
  • Bundesebene:
    • Grundgesetz (GG)
    • Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)
    • Sozialgesetzbuch, Achtes Buch (SGB VIII) – Kinder- und Jugendhilfe
    • Baugesetzbuch (BauGB)
    • Gesetz über die religiöse Kindererziehung (RelKErzG)
    • Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG)
    • Bundesimmissionsschutzgesetz (bezogen auf „Kinderlärm“)
  • Berliner Landesebene:
    • Verfassung von Berlin (VvB)
    • Gesetz zur Ausführung des Kinder- und Jugendhilfegesetzes (AG-KJHG)
    • Schulgesetz für das Land Berlin (SchulG)
    • Lokale Agenda 21 Berlin
    • Leitlinien für eine kinder- und jugendfreundliche Stadt
    • Standards für Koordinierungsstellen und Beteiligungsbüros der Kinder- und Jugendmitbestimmung in Berlin
    • Gesetz über öffentliche Kinderspielplätze (KiSpG)
Hier stelle ich die rechtlichen Grundlagen ausführlich in Wortlaut der jeweiligen Gesetze dar.

Beteiligung ist eben keine freiwillige und beliebige Leistung, sondern ein handfestes Recht, das Kinder in Anspruch nehmen dürfen, wenn sie es möchten! Rechte stellen sich nicht einfach ein, sondern müssen von Erwachsenen zugelassen, ermöglicht und gefördert werden. Dieser Verantwortung müssen sich Erwachsenen aufgrund ihrer privilegierten gesellschaftlichen Position stellen.

Welche Fragen kommen in der Beteiligungspraxis auf?

Die Partizipationsforschung differenziert zwischen zahlreichen Partizipationsstufen, -sphären, -feldern und -formen. Sie analysiert:

  • Welche Kinder beteiligen sich?
  • Worin beteiligen sie sich?
  • Wie beteiligen sie sich?
  • Wozu beteiligen sie sich?

Bereits aus der Formulierung im Artikel 12 der UN-Kinderrechtskonvention ergeben sich viele Fragen, die für eine Beteiligungspraxis relevant werden. Denn viele der verwendeten Wörter lassen Spielraum für Interpretationen und können sogar dazu eingesetzt werden, um die Beteiligung von Kindern zu limitieren. Schauen wir also einige praxisbezogenen Fragen näher an.

Worin können und dürfen Kinder mitbestimmen?

Aus Artikel 12 ergibt sich die Frage, welche Angelegenheiten das Kind „berühren“. Die Gegenfrage lautet: „Welche Angelegenheiten berühren Kinder nicht?“ Denken wir beispielsweise beim Bau eines Kernkraftwerkes daran, dass dieser Kinder in vielfältige Weise betrifft? Und zwar nicht nur wegen der direkten Umgestaltung des Lebensraumes nahe wohnender Kinder, sondern auch wegen den langfristigen Auswirkungen auf die Umwelt von Kindern an entfernteren Orten und sogar zukünftiger Generationen? Im Grunde genommen, betreffen alle Fragen des Lebens irgendwo auch Kinder. Darum müssen sie auch die Möglichkeit haben, auf Entscheidungsprozesse einzuwirken, wenn sie das wollen.

Wenn heute von Kinder- und Jugendbeteiligung die Rede ist, denken wir schnell an Modelle, Projekte oder Verfahren, die extra von Erwachsenen für Kinder eingerichtet werden, oft vorkonzipiert sind und begrenzte Entscheidungsspielräume beinhalten. Das verrät schon unser passiver Wortgebrauch: „Kinder werden an etwas beteiligt“ (anstatt: „Kinder beteiligen sich an etwas“). Die bloße Teilnahme auf mehr oder weniger freiwilliger Basis reicht aber nicht aus, um das Thema Beteiligung ‚abzuhaken‘. Eine umfassende Beteiligung fußt bereits auf den Ideen von jungen Menschen, beginnt schon in der Planungsphase und geht über die Implementierung, Durchführung und Evaluierung eines begrenzten Projektes hinaus. Beteiligung wird erst dann zu einem gesellschaftlichen Selbstverständnis, wenn junge Menschen über materielle, soziale und psychische Ressourcen verfügen, um ihr Leben aktiv in die eigene Hand zu nehmen. Letzteres ließe sich als eine bottom-up Beteiligung verstehen, die sich von einer top-down Beteiligung durch Erwachsene unterscheidet.

Doch sind Kinder auch heute nicht nur passive Opfer. Es wird leicht übersehen, dass Kinder im Alltag ständig eine Vielzahl von Entscheidungen treffen und mitbestimmen. Denkbare Beteiligungsdimensionen umfassen folglich familiäre, schulische und institutionellen, bis hin zu politischen und gesellschaftlichen Entscheidungsprozesse, auch wenn es für eine aufrichtige und nachhaltige Kinderbeteiligung in so gut wie allen Bereichen noch viel zu tun gibt. Beteiligung heißt nicht unbedingt eine Anpassung an vorhandenen Beteiligungsformen und -strukturen (wie etwa Mehrheitsabstimmungen oder die repräsentative parlamentarische Demokratie) sondern kann auch Forderungen nach Veränderung, Weiterentwicklung, Reform oder gar Revolution beinhalten. Widerstand ist nämlich oft eine Folge mangelnder Beteiligung. In Beteiligung steckt also viel kreatives Potenzial!

Wann ist ein Kind „alt“ und „reif“ genug, um mitzubestimmen?

Als Grund dafür, den Kindeswillen nicht zu berücksichtigen, werden häufig das junge Alter oder die „geringe Reife“ eines Kindes vorgeschoben. Dass ein Kind in bestimmten Feldern andere Erfahrungen teilt, ein anderes Empfinden hat und sich anders ausdrückt als ein Erwachsener, darf nicht als Ausschlusskriterium dienen. Im Gegenteil: das Kind sollte sein Ausdrucksvermögen nicht erst unter Beweis stellen müssen. Hier stehen die Erwachsenen in der Verantwortung, kindgerecht zu übersetzen und die Erfahrungen, Empfindungen und Ausdrucksweisen der Kinder ernst zu nehmen und zu verstehen. Die Einfache Sprache übersetzt beispielsweise beispielsweise Abstraktes in kindgerechter Weise. Aushandlungsprozesse können auch ohne Worte gestaltet werden: Körpersprache, Gesichtsausdruck, Kinderzeichnungen, Interaktionen und Reaktionen gelten gerade in der präverbalen Phase als ‚Meinungen‘.

Obwohl die klassische Entwicklungspsychologie davon ausging, dass Kinder erst ab etwa zehn Jahren die grundlegenden sozial-emotionalen Voraussetzungen für ihre Beteiligung erwerben, sind sich inzwischen große Teile der heutigen Entwicklungspsychologie einig, dass Kindern in der Vergangenheit zu wenig zugetraut wurde. Kinder sind keine passiven Empfänger*innen von Umwelteinflüssen, sondern interagieren bereits ab der Geburt aktiv, differenziert und gestaltend mit ihrer Umgebung. Wichtige Vertreter*innen dieser Richtung sind beispielsweise Emmi Pikler, Daniel Stern oder Martin Dornes. Beteiligungsrechte sind ohne Alterseinschränkung gültig, das hat der UN-Kinderrechtsausschuss in seiner „Allgemeinen Bemerkung“ zum oben erwähnten Artikel 12 deutlich klargestellt!

Beteiligungsmethoden sollten außerdem stets zielgruppen- und lebensweltorientiert sein und die Sichtweisen, Strategien, Deutungen und Ressourcen der individuellen Kinder in den Blick nehmen. Niedrigschwellige, barrierearme Prozesse, gegebenenfalls in Leichte Sprache und in mehrere Sprachen übersetzt, erweisen sich als hilfreich für eine inklusive und transkulturelle Beteiligung.

Wie kann die Meinung des Kindes erörtert werden?

In der deutschen Übersetzung der UN-Kinderrechtskonvention heißt es in Artikel 3, bei allen Maßnahmen, die Kinder betreffen, sei „das Wohl des Kindes ein Gesichtspunkt, der vorrangig zu berücksichtigen ist“. Im deutschsprachigen Raum hatte sich seit Ende des 19. Jahrhunderts das Konzept des Kindeswohls etabliert, welches von Jurist*innen als unbestimmter Rechtsbegriff bezeichnet und erst in einem konkreten Fall ausgelegt wird. Das englische Original des Artikels 3 verwendet jedoch ganz andere Begriffe: Dort geht es um die „best interests of the child“. In Kombination mit Artikel 12 wird schnell klar: Das Kindeswohl ist nicht ohne die Einbeziehung des Kindeswillens zu erörtern.

Wir reden jetzt nicht darüber – so wird häufig unterstellt –, jedem Wunsch eines Kindes Folge zu leisten. Spontan Gesagtes unterscheidet sich von einer längerfristig gebildeten Meinung. Letztere beruht auf den Interessen, die, laut der englischen Version der UN-Kinderrechtskonvention, zu erörtern sind. Es herrscht aber Uneinigkeit und teilweise auch Ratlosigkeit unter Erwachsenen, wie diese zu definieren sind. Seit Karl Marx scheiden sich die Geister über die Dialektik von subjektiven Interessen (persönliche Standpunkte, Sichtweisen, Ziele und Perspektiven) und objektiven Interessen (unbewusste oder bewusste Einflüsse auf das Individuum, die zur Bedürfnisbefriedigung entweder herbeigeführt oder abgewendet werden sollen). Der Kinderrechts-Soziologe Manfred Liebel legt Wert darauf, dass weder subjektive noch objektive Interessen genau definierbar sind und schlägt vor, vielmehr von latenten und manifesten Interessen zu reden, die weder wahr noch falsch sind, sich gegenseitig beeinflussen, modifizierbar sind und sich ständig weiterentwickeln.

Fest steht, dass eine Interessensanalyse und -abwägung eine schwierige Sache ist – egal um welches Alter es sich handelt. Noch zu häufig wird sich in Deutschland allerdings auf erwachsene Expert*innenmeinungen berufen und der Erörterung des Kindeswillens nur ein bestimmter, auffallend begrenzter, Raum überlassen. Die oben erwähnten subjektiven beziehungsweise latenten Interessen des Kindes finden dabei wenig Beachtung. Die selbst geäußerten Interessen des Kindes werden häufig als naiv und unqualifiziert abgetan. Dabei können Kinder sehr wohl auch als Expert*innen betrachtet werden. Fachkundige kritisieren daher die gängige Verwendung des Kindeswohl-Begriffs und eröffnen neue Perspektiven, die dem Kindeswillen mehr Raum gewähren. Der Kindeswille ist beispielsweise laut Medizinethiker*innen eine

„nachdrückliche Meinungsäußerung des Kindes, die wiederholt vorgetragen wird, für das Kind eine besondere emotionale Bedeutung hat und deren Nichtbeachtung die Selbstachtung des Kindes untergraben würde“

Claudia Wiesemann und Sabine Peters

Anzustreben wären also kindgerechte Prozesse und Verfahren, um Meinungen und Interessen von Kindern zu erörtern. Hierzu gehört ein gleichwürdiger Dialog über Perspektiven, Wünsche, Bedürfnisse und Forderungen. Aber auch das Angebot einer neutralen Beratung und Unterstützung von Kindern und Jugendlichen dient einer qualifizierten Meinungsbildung. Diese sollten zum gesellschaftlichen Selbstverständnis werden, die eine Neuverortung der Rolle junger Menschen als Protagonist*innen mit sich bringen.

Wie viel Gewicht erhält der Kindeswille?

Kommen wir zur Frage, wie stark Kinderinteressen (gegebenenfalls gegenüber anderen Interessen) bei Entscheidungen gewichtet werden sollen. Denn ein Abwägen sich teils widersprechender Interessen ist häufig unumgänglich. Diverse Stufen-, Leiter- und Treppenmodelle weisen auf die graduell zunehmende Reichweite von Beteiligung und der Entscheidungsmacht junger Menschen hin.

Ein vielbenutztes Modell, das auf drei Stufen basiert, beschreibt das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend in seinen „Qualitätsstandards für die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen“:

  1. Mitsprache und Mitwirkung: Kinder und Jugendliche werden um ihre Meinung gebeten. Sie werden in Befragungen und Beratungsprozesse einbezogen. Ihre Ideen fließen in die Entscheidung mit ein. Die letztendliche Entscheidung liegt jedoch allein bei den Erwachsenen.
  2. Mitbestimmung: Kindern und Jugendlichen wird ein Stimmrecht bei Entscheidungen eingeräumt, das gleichwertig ist mit dem Stimmrecht Erwachsener. Die Erwachsenen haben dabei kein Vetorecht. Kinder und Jugendliche tragen somit Mitverantwortung, gegebenenfalls für einen Teilbereich. Die Entscheidung wird also gleichberechtigt von Kindern und Jugendlichen und den Erwachsenen getroffen.
  3. Selbstbestimmung: Kindern und Jugendlichen wird die alleinige Entscheidungsmacht übertragen, gegebenenfalls für einen Teilbereich. Sie verantworten die Entscheidung allein.“

Es geschieht natürlich nicht überall wirkliche Partizipation, wo Partizipation draufsteht. In ungünstigen Fällen sprechen wir von Manipulation, Dekoration, Scheinbeteiligung oder Alibibeteiligung. Ein umfassendes Verständnis von Beteiligung muss also das Recht von Kindern und Jugendlichen zu einem selbstbestimmten Leben einbeziehen und sie als handelnde Subjekte anerkennen. Das komplexere, ebenfalls einflussorientierte Stufenmodell nach Roger Hart (1992), das insgesamt neun Stufen der Beteiligung in Betracht nimmt, sowie das Beteiligungsmodell von Laura Lundy (2003), das auf Beteiligungsstrukturen und die Verantwortung von Erwachsenen hinweist, können zur Analyse weiterer Beteiligungsaspekte herangezogen werden.

Bei all dem darf nicht vergessen werden, dass das Verständnis von Beteiligung zu einem großen Teil vom soziokulturellen Kontext abhängig ist, in den sie eingebettet ist. Beteiligung ist also keine Leitkultur, sondern Streitkultur!

Welche Gründe sprechen für eine Stärkung von Beteiligung?

Zur Stärkung ihres Selbstwertgefühls, zur Besserung des Selbstschutzes und zur Erlangung eines selbstbestimmten Lebens sollte ein partizipativer Ansatz, der Beteiligung als Recht und nicht als Zugeständnis versteht, in pädagogischen Verhältnissen selbstverständlich sein. Eine psychologische Untermauerung dieser These bietet die Theorie der Salutogenese des Gesundheitssoziologen Aaron Antonovsky. Antonovsky forschte ab den 1960er Jahren zum ersten Mal großflächig dazu, was gesund hält anstatt – wie in traditionell-medizinischen Ansätzen – dazu, was krank macht (Pathogenese). Die Ergebnisse seiner Forschung wiesen darauf hin, dass Erfahrungen in der Kindheit einen wesentlichen Einfluss auf die Entstehung und Erhaltung von Gesundheit, weit über die Kindheit hinaus, haben.

Ein zentraler Aspekt der Theorie der Salutogenese ist das Kohärenzgefühl. Zur Entstehung dieses Gefühls ist neben der Verstehbarkeit und Sinnhaftigkeit des eigenen Lebens auch die Entwicklung von „Kontrollüberzeugungen“ nötig. Eine wesentliche Ressource hierfür stellen wiederum Selbstwirksamkeitserfahrungen dar – wenn also eigenes Engagement für eine Sache tatsächlich zur Erfüllung von Wünschen oder Befriedigung von Bedürfnissen führt. Selbstwirksamkeit ist aber auch in Stresssituationen und nach Rückschlägen wichtig, um der erlernten Hilflosigkeit (meist ein generalisierter Kontrollverlust) entgegenzuwirken. Theorien der Salutogenese werden bis heute weiterentwickelt und unterstreichen die Notwendigkeit einer aktiven, umfassenden und nachhaltigen Kinder- und Jugendpartizipation sowie des Empowerments junger Menschen.

Ähnliche Ideen werden auch von der Resilienzforschung aufgegriffen, welche die Fähigkeit von Menschen untersucht, Widerstandskraft aufzubauen, Krisen zu bewältigen und diese unter Rückgriff auf persönliche und soziale Ressourcen als Anlass für Entwicklungen zu nutzen.

Neben diesen Gründen, warum die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen erstrebenswert sei, lassen sich in Fachtexten verschiedener Disziplinen eine Menge weiterer Argumentationen finden. Sie lassen sich grob in drei Kategorien aufteilen:

Instrumentelle Argumente

  • Überwindung der Politikverdrossenheit
  • Identifikation mit der Einrichtung/dem System
  • bessere Regierbarkeit
  • Nachfrage-Angebot-Optimierung
  • gesteigerte Standortqualität
  • verstärkte Integration
  • Erhöhung der sozialen Stabilität

Kindzentrierte Argumente

  • Persönlichkeits- und Moralentwicklung
  • Erwerb von Handlungskompetenzen
  • Erwerb von Fachkenntnissen
  • Verbesserung des (Selbst-)Schutzes
  • Resilienz
  • Stärkung des Selbstwertgefühles (Empowerment)
  • Selbstwirksamkeit (Salutogenese)

Ethische Argumente

  • Menschenrechte
  • Kinderrechte
  • Emanzipation
  • Gleichberechtigung
  • Adultismus entgegentreten
  • Veränderung der generationalen Ordnung
  • Diskriminierungs- und Machtkritik

Wie können Erwachsene zu einer partizipativen Praxis beitragen?

Für eine umfassende Beteiligung sollte gerade in Institutionen sowohl eine Beteiligungskultur als auch eine Beteiligungsstruktur vorhanden sein. Einerseits sollten Fachkräfte eine beteiligungsfördernde Haltung einnehmen, partizipative Methoden in den Gruppenalltag einbauen und eine grenzwahrende, wertschätzende Ethik vertreten. Andererseits bedarf es Safe Spaces, Rechtekataloge, Beschwerdeverfahren und Jugendgremien mit eigenen Ressourcen, in denen Beteiligung konstitutionell garantiert wird. Ohne eine kulturelle Verankerung besteht die Gefahr der Inhaltsleere, da Beteiligung nicht gelebt wird und alleine als bürokratische Regelung aufgefasst wird. Ohne eine strukturelle Verankerung wiederum besteht die Gefahr, dass Beteiligung beliebig und vom Wohlwollen einzelner Erwachsenen abhängig wird. Beteiligungsstrukturen und Beteiligungskulturen bedingen und ergänzen sich daher gegenseitig.

Im Wesentlichen drückt sich die Haltungsfrage der privilegierten Erwachsenen in einer partizipativen Interaktion zwischen sich und jüngeren Menschen aus:

  • Erwachsene begleiten Kinder eher fragend als wissend,
  • sie hören zu und nehmen Meinungen und Perspektiven von Kindern ernst,
  • sie respektieren die Grenzen anderer,
  • sie drücken Wertschätzung, Anerkennung und Interesse aus,
  • sie erkennen Kinder als Expert*innen in eigener Sache an,
  • sie betrachten Kinder nicht als defizitäre Wesen, sondern nehmen (auch) deren Kompetenzen wahr,
  • sie verstehen sich nicht als unfehlbar und sind bereit, auch von Kindern zu lernen,
  • sie bauen Zugangshürden ab (Inklusion),
  • sie fördern die Beteiligungskompetenzen der Kinder,
  • sie ‚übersetzen‘ Beteiligungsmethoden kindgerecht und passen diese an das individuelle Kind oder die spezifische Gruppe an,
  • sie lassen sich auch drauf ein, Verantwortung und Kontrolle an Kinder zu übertragen,
  • sie unterstützen Kinder dabei, eine konstruktive Gesprächs- und Streitkultur zu entwickeln sowie sich für die eigenen Belange zuständig zu fühlen,
  • sie teilen ihre Privilegien (Zugänge, Ressourcen, Erfahrungen usw.) mit Kindern,
  • sie machen das verbriefte Recht von Kindern auf Partizipation nicht vom Wohlwollen der Erwachsenen abhängig.
  • sie reflektieren sich selbst und sind bereit, sich fortzubilden und Unterstützung anzunehmen.

Sinnvolle und nachhaltige Beteiligungsmethoden sind jedoch kontext- und situationsabhängig.

An dieser Stelle kann nicht auf sämtliche Beteiligungsmethoden eingegangen werden. Einige meiner Lieblingsmethoden habe ich hier zusammengestellt. Eine umfangreiche Sammlung konkreter Beteiligungsmethoden kann in der Methodendatenbank des Deutschen Kinderhilfswerks aufgerufen werden.
Auf dem Kinderrechte Portal entstand 2022 eine stets wachsende Plattform, die Basiswissen, Methoden und Materialien zu Kinderrechten speziell für pädagogische Fachkräfte aufbereitet.

Hilfe! Übernehmen Kinder nun die Macht?

Erwachsene haben häufig Angst, Macht mit jungen Menschen zu teilen, denn sie befürchten, die Kontrolle zu verlieren. Das ist einerseits verständlich, denn Kinder spiegeln den Erwachsenen ihre eigene reglementierte Gesellschaft, die sie sich über Jahrhunderte erschaffen haben und der sie sich selbst immer wieder unterwerfen. In dieser nehmen Kinder meist eine ihnen zugeschriebene Rolle und Stellung ein. Wenn sie daraus ausbrechen, können Erwachsene leicht verunsichert werden, denn sie fühlen sich verantwortlich, die generationale Ordnung fortzuführen.

Beteiligung stellt jedoch die Gesellschaft noch nicht auf den Kopf und kehrt nicht einfach die Verhältnisse um. Partizipation, Beteiligung und Mitbestimmung fordern nicht, dass Kinder das alleinige Sagen haben sollen und Erwachsene sich ihnen unterordnen müssen. Denn Partizipation

  • ist kein Wunschkonzert (Erwachsene erfüllen nicht alle Wünsche, die ein Kind hat),
  • heißt nicht Laissez-faire (Erwachsene drücken sich nicht vor Verantwortung, lassen Kinder nicht alleine),
  • bedeutet nicht, dass Erwachsene keine Grenzen setzen dürfen (es kommt vielmehr darauf an, wie Menschen – egal wie alt – ihre Grenzen ziehen).

Menschen sind verschieden, sollen aber als gleichwertige Teile der Gesellschaft betrachtet und als solche menschenwürdig und gerecht behandelt werden. Dazu gehört eine kritische macht- und diskriminierungsbewusste Begleitung von Kindern und Jugendlichen. In anderen Worten: Erwachsene müssen nicht alles gutheißen, was Kinder und Jugendliche denken, sagen und tun. Sie sollten aber bereit sein, mit ihnen in Dialog zu treten und Aushandlungsprozesse auf der Basis von Gleichwürdigkeit und der Gleichwertigkeit verschiedener Interessen einzugehen. Eine praxisorientierte Definition von Beteiligung, die das Erwähnte in Betracht nimmt, könnte wie folgt lauten:

Beteiligung ist ein Aushandlungsprozess, in dem zwischenmenschlich gerecht herausgefunden wird, welche Interessen Geltung verdienen und welchen Anteil an Verantwortung jeder zu tragen hat!

Frei nach Jörg Maywald, ehem. Geschäftsführer der Deutschen Liga für das Kind

Beteiligungsprozesse können mitunter auch anstrengend sein, denn sie bedeuten in den meisten Fällen ein Sich-selber-in-Frage-stellen, ein Sich-in-andere-empathisch-hineinversetzen, eine Sensibilisierung für Privilegien und letztendlich die Teilung von Macht und Ressourcen. Erwachsene müssen die Bereitschaft aufweisen, dass nicht alles nach ihren Vorstellungen läuft. Denn: Menschen unterschiedlichen Alters haben diverse Sichtweisen, Interessen, Positionen, Bedürfnisse und Wünsche. Dies anzuerkennen und einen konstruktiven Umgang damit zu finden, ist sehr anspruchsvoll!

Warum ist Beteiligung in der Praxis so schwierig?

Die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen wird inzwischen in Gesetzen, Verfassungen, Standards und Leitlinien festgehalten. Von verschiedensten Stellen wird aber wiederholt ihre mangelnde Umsetzung beklagt. Es wirken viele gesellschaftliche Tendenzen entmündigend und entmächtigend (Konkurrenzkampf, Verwaltungsvorschriften, Effizienzdenken oder Ressourcenbegrenzung sind nur vier, die mir sogleich einfallen). Erwachsene haben folglich selbst wenig Gestaltungsspielraum. Wir sind noch weit von einem demokratischen Ideal entfernt, nach dem alle Menschen – egal welchen Alters – eigene Interessen vertreten und sich dennoch empathisch in andere hineinversetzen können, sich aktiv für eigene und gemeinschaftliche Belange zuständig fühlen sowie für Solidarität, Gerechtigkeit und Verantwortung eintreten.

Und da Beteiligung kaum mit Worten vermittelt werden kann, sondern praktisch handelnd erworben werden muss, stecken wir in einer Zwickmühle: Wir werden nicht beteiligt, also beteiligen wir nicht, beziehungsweise nur in dem kleinen Rahmen. über den wir selber gerade so bestimmen. Den Kindern fehlen daher Rollenvorbilder. Hinzu kommt: In dieser adultistisch geprägten Gesellschaft haben sich Kinder noch immer einzuordnen, unterzuordnen und zu fügen. Sie ziehen also im Gerangel meist den Kürzeren. Es folgt nicht nur, dass Kinder demokratische Kompetenzen nicht lernen – nein – ihre mehr oder weniger angeborenen demokratischen Haltungen werden ihnen regelrecht abtrainiert!

Bei Beteiligungsprozessen gilt es daher, einerseits die Spielräume zu suchen, die trotz aller Mängel und Beschränkungen noch vorhanden sind, und andererseits Widersprüche, Dilemmata und Versäumnisse ehrlich offenzulegen. Information und Transparenz sind die Grundlage aller ernstgemeinten Partizipation. Grenzen und Begrenzungen können von Kindern eher verstanden und angenommen werden, wenn ihre Gründe und ihr Kontext verständlich erklärt werden. Dies gilt auch zur Vermeidung einer Scheinbeteiligung: Dort wo es keine Wahl gibt, sollte sie auch nicht vorgetäuscht werden. Im weiteren Prozess werden sich immer wieder Möglichkeiten eröffnen, um einen partizipativen Umgang mit einer schwierigen Situation zu ermöglichen, auf die das Kind keinen Einfluss hatte.

Eine adultismuskritische Partizipation zeigt sich dann, wenn Erwachsene junge Menschen dabei unterstützen, sich selbst zu ermächtigen und die Bedingungen mit herstellen, dass die erwachsenen Begleiter*innen entbehrlich werden.

Philip Meade
aktualisiert am 23.07.2022