Privilegienreflexion Adultismus
Ziel: Privilegien, die eher Erwachsenen vorgehalten werden, nicht aber jungen Menschen, werden sichtbar und somit besprechbar.
Zielgruppe: Personen, die sich als ‚erwachsen‘ verstehen
Voraussetzungen/Barrieren: Sprachkenntnisse
Zeitrahmen: ca. 45 Minuten (inkl. Diskussion)
Materialien: Kopiervorlage, Klemmbrett und Stift für alle Teilnehmende
Download: privilegienreflexion-adultismus.pdf
Quelle: Hjördis Hornung und Philip Meade (2024): Endlich aufräumen – mit Adultismus, in: Zeitschrift Frühe Kindheit, Ausgabe 03/2024 [Link zum Artikel]
Vorbereitung
Wir sind alle in hierarchischen gesellschaftlichen Verhältnissen verwickelt – ob beabsichtigt oder nicht. Jede Person ist von einem Macht-Ungleichheitsverhältnis (entlang z.B. des Geschlechts, der Herkunft, der Religion, des Einkommens, der Gesundheit, der Bildung, der sexuellen Orientierung, des Alters usw.) unterschiedlich betroffen. Von diesen Ungleichheitsverhältnissen werden wir entweder benachteiligt (diskriminiert) oder bevorteilt (privilegiert). ‚Neutrale‘ Positionen gibt es in diesen gesellschaftlichen Strukturprinzipien nicht. Auch privilegierte Menschen, die sich für diskriminierte Menschen einsetzen, können sich hiermit nicht einfach ihrer Privilegien entledigen, auch wenn sie womöglich zu einem kurzfristigen ‚power-sharing‘ beitragen. Um gesellschaftlichen Diskriminierungen, wie dem Adultismus, entgegenzuwirken, bedarf es neben solidarischem Handeln einzelner Personen auch langfristiger Strategien gesellschaftlicher Veränderung, die aber mit der Wahrnehmung und Reflexion der eigenen Positionierung beginnen.
Das gesellschaftliche Ungleichheitsverhältnis des Adultismus beruht auf grundlegenden Machtungleichgewichten zwischen ‚vollwertigen Menschen‘ (Volljährige bzw. Erwachsene) einerseits und ‚werdenden Menschen‘ (Minderjährige bzw. Kinder/Jugendliche) andererseits, die entweder vorsätzlich oder ohne bewusste Absicht ausgenutzt und durch eine Verschiebung von Zugängen, Ressourcen und Privilegien zum Vorteil der Erwachsenen untermauert wird. Adultismus äußert sich in Zuschreibungen vermeintlicher Eigenschaften, dominantem und abwertendem Verhalten gegenüber Jüngeren, verfestigt sich in Normen, Werten, Traditionen und Diskursen, schreibt sich aber auch in sozialen, rechtlichen, politischen, architektonischen und ökonomischen Institutionen und Strukturen ein.
Die Fragen im Selbsttest können letztendlich veranschaulichen, dass Macht als ermöglichende Macht oder als begrenzende, unterdrückende Macht verstanden werden kann. ‚Macht zu‘ ist die Fähigkeit, zu handeln oder eine Idee umzusetzen. ‚Macht über‘ ermöglicht hingegen Personen, über andere Personen zu herrschen und sich über deren Meinungen und Interessen hinwegzusetzen. Eine Auflösung gesellschaftlicher Adultismus- und anderer Diskriminierungsverhältnisse käme letztendlich allen Menschen zugute, weil sie die Kommunikation und Verbindungen zwischen Personen unterschiedlichen Alters verbessern kann und die Potenziale einer Gesellschaft insgesamt stärkt.
Für eine vertiefende Auseinandersetzung mit der Arbeit zu Privilegien vgl. Katharina Debus (2018): Methodenkonferenz Privilegientest. Kommentar. [Link zum Artikel]
Konkret zum Thema „Privilegien der Erwachsenen“, vgl. ManuEla Ritz (2022): Adultismus und kritisches Erwachsensein, S. 108 ff. [Link zum Buch]
Durchführung
Phase 1: Einzelarbeit / vertraute (selbstgewählte) Kleingruppenarbeit zur Bearbeitung des Fragebogens (ca. 15 Minuten)
Teilnehmende sollten die Möglichkeit haben, den Selbsttest anonym oder in einer vertrauten (selbstgewählten) Kleingruppe zu beantworten. Der Selbsttest soll nicht dazu dienen, individuelle Erfahrungen miteinander zu messen oder vergleichen. Stattdessen zielt er darauf ab, auf allgemeiner Ebene Privilegien, die eher Erwachsenen vorgehalten werden, nicht aber jungen Menschen, sichtbar und somit besprechbar zu machen.
Die Methode ist für die Arbeit mit Erwachsenen entwickelt worden und sollte nicht unverändert mit jungen Menschen durchgeführt werden, weil sie dann entmutigend wirken könnte. Auch bei Erwachsenen kann er psychisch belastend sein, daher sollte die Teilnahme an der Methode stets freiwillig sein und mit einer Einführung seitens der Moderation beginnen. Es sollte Kapazitäten geben, um emotionale Reaktionen einzelner Teilnehmer*innen auffangen zu können.
Möglicherweise merken die Teilnehmenden bei dem Selbsttest, dass die Macht sowohl bei Kindern als auch bei Erwachsenen von unterschiedlichen gesellschaftlichen Positionen und hinzukommenden Diskriminierungsdimensionen abhängig ist. Eine erwachsene Person auf der Flucht, eine neurodiverse erwachsene Person, eine erwachsene Person, die einen Rollstuhl nutzt oder eine erwachsene Köchin in einer Kita können vielleicht manche der obenstehenden Fragen ebenso wenig bejahen, wie manche Kinder.
Phase 2: gemeinsame Plenumsdiskussion (ca. 15 Minuten)
Eine begleitete und moderierte Plenumsdiskussion schließt an die Individual-/Kleingruppenarbeit an. Wichtig ist, dass die Teilnehmenden frei entscheiden können, ob und was sie von Ihren Antworten mitteilen. Durch die Moderation könnte ein Austausch über Fragen wie die folgenden angeregt werden:
- Wie erging es mir beim Beantworten der Fragen, welche Emotionen kamen auf?
- Hat mich etwas überrascht und worüber denke ich weiter nach?
- Waren mir das Ausmaß meiner Privilegien konkret als Erwachsene*r bewusst?
- Was bedeutet es, privilegiert zu sein und im Kontrast dazu, diskriminiert zu werden?
- Welche individuellen Faktoren beeinflussen die Beantwortung der Fragen und mit welchen anderen gesellschaftlichen Diskriminierungen haben diese zu tun?
Phase 3: Brainstorming zu Interventions-, Empowerment- und Powersharing-Strategien. (ca. 15 Minuten)
Um ein Gefühl der Ohnmacht gegenüber gesellschaftlichen Strukturen zu begegnen, sollten im Anschluss gemeinsame Strategien der Intervention, des Empowement und des Powersharing entwickelt werden. Diese könnten dazu beitragen, entweder das hierarchische Verhältnis zwischen Kindern und Erwachsenen kurzfristig zu irritieren oder langfristige machtausgleichende Veränderungen herbeizurufen. Gegebenenfalls macht es Sinn, zwischen privaten und beruflichen Strategien zu unterscheiden. Um junge Menschen nicht in einer Opferrolle zu imaginieren, sollte außerdem thematisiert werden, dass diese häufig bereits über Ressourcen und Bewältigungsstrategien verfügen, um ihre meist benachteiligte Position entgegenzuwirken. Nach dem Brainstorming könnten Verabredungen getroffen werden, wer wann an was weiterarbeitet, damit aus den Ideen auch konkrete Handlungen oder Projekte werden.
„Macht und Möglichkeiten“– Privilegienreflexion Adultismus
Möchten Sie kurz überprüfen, ob die folgenden Aussagen auf Sie zutreffen?
- In der Stadt kann ich mich von Ort zu Ort frei und gefahrlos bewegen.
- Ich komme selbstständig in Gebäude und Räume hinein, die wichtig für mich sind.
- An Gegenstände und Materialien, die ich benötige und die mich interessieren, komme ich selbstständig ran.
- Ich wähle was ich anziehe und esse und bestimme wann ich schlafen gehe.
- Ich habe Einfluss darauf, wo und mit wem ich wohne.
- Den Ablauf meines Tages gestalte ich selbst.
- Ich entscheide, mit welchen Themen ich mich jetzt beschäftige.
- An der Einrichtung unserer Räume/meines Zimmers war ich beteiligt.
- Über meine Freund*innenschaften bestimme ich selbst und kann sie jederzeit kontaktieren.
- Ich kann mich ausdrücken und werde verstanden.
- Ich bekomme von meinen Mitmenschen mehr Möglichkeiten als Begrenzungen aufgezeigt.
- Wenn ich etwas frage, bekomme ich eine zugewandte Antwort.
- Mir werden offene Fragen gestellt, deren Antworten nicht schon vorab feststehen oder einem bestimmten Zweck dienen.
- Ich werde gelegentlich um Rat gebeten und meine Kompetenzen werden in Anspruch genommen.
- Menschen in meinem Alter, die mir in Büchern, Hörspielen und anderen Medien begegnen, bilden vielfältige und individuelle Lebensrealitäten ab.
- Wörter, die Menschen zu mir, meinem Körper, meinem Verhalten, meiner Familie sagen, sind wertschätzend und respektvoll.
- Wenn ich zeige oder sage, dass ich nicht berührt werden möchte, wird das von meinem Gegenüber akzeptiert.
- Wenn ich nicht tue, was mir von einer älteren Person gesagt wird, begegnet man mir weiterhin respektvoll und wertschätzend.
- Ich kann mich ohne Angst über das Verhalten einer älteren Person beschweren und ich werde ernst genommen.
- Die Institutionen, die ich täglich besuche, sind frei von der Absicht, mir fremdbestimmte Ziele vorzugeben.
- Ich kann mich auf Gesetze beziehen und klagen, wenn meine Rechte verletzt werden.
- Bei politischen Themen, die mich betreffen, werde ich gefragt und mitgedacht.
- Meine Interessen spielen in der Politik eine wesentliche Rolle.
- Über mein Geld kann ich frei verfügen.
- Wenn ich etwas ausprobieren möchte, wird mir mit Vertrauen begegnet und ich werde unterstützt.
- Personen, die Macht haben und Verantwortung tragen, sorgen dafür, dass ich und meine Umwelt eine gute Zukunft haben werden.
Und wenn Sie sich nun einen jungen Menschen aus Ihrem nahen Umfeld vorstellen? Wie würde er*sie vielleicht dieselben Fragen beantworten? Welche Aspekte spielen eine Rolle, um die Fragen beantworten zu können?
(Hjördis Hornung & Philip Meade, unter Creative Commons BY-NC-SA 4.0 Lizenz)